Der Rückwärts Bericht über den neunten Verhandlungstag im Prozeß gegen Horst Mahler, Reinhold Oberlercher und Uwe Meenen am 2. April 2004 Von Peter Töpfer Richter Faust war heute – zumindest anfangs – sehr schlechter Laune. Er begann die Verhandlung auf eine Art und Weise, daß niemand auch nur irgend etwas von dem mitbekam, was er sagte. Prompt wurde daraufhin aus dem Volk heraus protestiert: „Herr Richter, Sie nuscheln so!“ Nun wurde der Richter plötzlich extrem gut verständlich: „Wenn ich noch ein Wort von Ihnen höre, schmeiße ich Sie sofort raus.“ Zu gütig, geradezu gnädig. Sofort ergriff ein weiterer Volksgenosse das Wort, stand auf und sprach ruhig, sachlich, höflich, jedoch sehr bestimmt den Richter an: „Wir im Publikum verstehen nichts von dem, was Sie sagen. Bitte sprechen Sie etwas deutlicher und lauter…“ – doch der Richter fuhr ihm sofort ins Wort: „Sie dürfen der Verhandlung beiwohnen, aber das ist auch alles, was Sie dürfen!“ Im selben Moment jedoch fiel ihm ein, daß er sein Mikrophon gar nicht eingeschaltet hatte und daß das Publikum also wirklich nichts verstehen konnte. Er schaltete es ein, die rote Lampe fing an zu leuchten und der Rest seiner – nun verstärkten – Schimpfkanonade ließ den Gerichtssaal erzittern: „Wenn ich noch einen Ton höre, schmeiße ich Sie alle raus!“ Eigentlich hätte sich Richter Faust beim Publikum entschuldigen müssen, daß er vergessen hatte, das Mikro einzuschalten, aber – wie würde Michel Friedmann sagen? – Richter Faust ist eben auch nur ein Mensch, kann seinen Fehler nicht einsehen und muß die um so lauter anbrüllen, die ihn auf seinen Fehler hingewiesen haben. Staatsanwalt Krüger wurde gleich zum nächsten Opfer der miesen Laune des Richters und kriegte auch ordentlich eine verbale Breitseite ab. Dem Sinne nach: Was wollen Sie denn nun noch?! Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, daß…! Was Staatsanwalt Krüger überhaupt wollte und womit er den Zorn des Richters ausgelöst hat, weiß natürlich keiner, denn im Publikum sitzt niemand, der dem hinter der Glasscheibe notorisch völlig Unverständlichen die Worte von den Lippen hätte lesen und sie weitersagen können. Staatsanwalt Krüger klappte gehorsam an. Horst Mahler begann, bevor er mit der Verlesung des Textes „Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches“ fort fuhr (1), mit der traditionellen, der eigentlichen Einlassung vorausgehenden Erklärung. Er habe wieder einmal Post vom Staatsanwalt bekommen… (2) – winkte aber nur noch müde ab. Nun erklärte Horst Mahler, daß sich im letzten Kriege zwei geistige Prinzipien gegenübergestanden hätten: das individualistische (der Westalliierten) und das volksgemeinschaftliche (der Deutschen). Der Individualismus habe siegen müssen, weil er stärker sei als das einfach-pure gemeinschaftliche („Du bist nichts, dein Volk ist alles“). Erst quasi die Synthese aus beiden, die von den Nationalsozialisten nicht hergestellt worden sei, werde stärker sein als der einfach-pure Individualismus. Wenn das Gemeinschaftliche „einseitig“ sei, würde es immer „unterliegen“. Erst im deutschen Idealismus sei der Widerspruch zwischen dem Individuellen und dem Gemeinschaftlichen aufgehoben oder überwunden (der genaue hegelsche Begriff fällt mir nicht mehr ein); hier sei das Individuum in einer freien Gemeinschaft frei; beider Freiheit bedingten sich gegenseitig. Die Idealisten Fichte, Schelling und Hegel hätten Kant überwunden, bei dem noch das „du sollst!“ im Mittelpunkt gestanden habe. (Man erinnert sich: Kant war der mit den Imperativen…) Bei den Idealisten stehe das „ich will“ im Mittelpunkt. Hegel habe, so Mahler, den Normativismus überwunden. Jetzt, ab Hegel, werde der Einzelne nicht mehr von Normen regiert; jetzt habe er die Gemeinschaftlichkeit verinnerlicht; es gäbe keinen Widerspruch mehr zwischen beiden. Da stellt sich dem Zuhörer natürlich die Frage, wieso es da kommt, daß die Mahlerschen und die Oberlercherschen Texte nur so von Normativismen wimmeln. Das geht sogar so weit, daß in einer der „theoretischen Grundlagen des Deutschen Kollegs“ (O-Ton DK-Willkommensseite im Netz) zu lesen ist, nämlich dem mithin DK-offiziellen Text „Der allgemeine deutsche Volksaufstand“ von Reinhold Oberlercher unter § 3 des Strafergänzungsgesetzes (StErG) davon die Rede ist, daß, wer „als Einzelner sich am Gottesmord beteiligt, aus der Gemeinschaft der Menschheit und aus der Gesellschaft der Rechtssubjekte auszustoßen und daher friedlos zu stellen“ sei. Jeder soll jedem sagen können, daß er sich, wenn er Gott „ermordet“, selbst schädigt. Und so erklärt das DK auch, daß ein „Gottesmörder“ sich selbst richte, aber dadurch, daß er ausdrücklich, ganz profan von Gesetzes und Staats wegen für „vogelfrei“ erklärt wird, könnten sich Menschen zu Gewalttaten oder sogar Liquidierungen eingeladen fühlen, die aus irgendwelchen Gründen eine Rechnung mit dem „Gottesmörder“ offen haben. Hier haben wir es mit dem Normativismus par excellence zu tun: Du mußt glauben, daß es einen Gott gibt! Das ist die höchste Norm. Wenn nicht, sollst du sterben, und zwar nicht von Gottes-, sondern von Menschenhand. Es mag ja angehen, wenn mir jemand den freundlichen Rat gibt, ich solle lieber an Gott glauben. Aber dran glauben zu müssen, bei Strafe, daß ich dran glauben muß, das hat doch mit Freiheitlichkeit und sogar Normativismenlosigkeit nicht mehr das geringste zu tun; das ist das genaue Gegenteil davon. Wenn es einen Gott gibt und der fühlt sich von mir zu Tode bedroht, dann würde ich es verstehen, wenn er mich umbringt, bevor ich ihn umbringen kann. Es reicht diesem Gott der Hegelianer nicht gerade zur Ehre, daß er solcherart vor seinen „Mördern“ beschützt werden muß. Wenn es einen Gott gibt, dann hat er das ganz bestimmt nicht nötig. Bei dem Hegelschen Gott muß es sich um einen ausgesprochen schwachen Gott handeln. Nehmen wir an, Fische in einem Aquarium betrachten den Menschen, der sie füttert, als ihren Gott. Ein Fisch sagt zu dem anderen: „Ich glaube nicht an Gott.“ Beeinflußt das das Verhalten „Gottes“? Und wird es „Gott“ beeinflussen, wird er mehr Futter ins Aquarium werfen, wenn der andere Fisch zu Gottes Schutz sagt: „Wenn du nicht an Gott glaubst und ihn 'ermordest', dann hast du keine Rechte mehr, dann sollst du sterben.“ Damit will ich nicht gesagt haben, daß es keinen Gott gibt, ich weiß es einfach nicht, und es interessiert mich auch nicht. Es drängt sich des weiteren und ganz grundsätzlich die Frage auf, ob die Hegelsche Normativismenlosigkeit nicht eine Mogelpackung ist. Was machen Hegel und seine Nachfolger, den Kantschen Normativismus und seine Widersprüchlichkeit erkennend?... – Was bei Kant noch im Außen war, das holen die Hegelianer einfach in das Individuum hinein und tun so, als gehöre dies zu ihm. Es sei nur wichtig, daß der Einzelne die Notwendigkeit des Jeweiligen erkenne. Dann sei er wahrhaft frei. Das Fremde, das bei Kant noch im Außen ist, das wird nun zum Eigenen gemacht durch „Erkennen“. Auf diese Weise kann alles Mögliche, kann das Widrigste und Fremdeste zum „Eigenen“ gemacht werden. Und tatsächlich heißt es bei Hegel: “Hauptmoment der Erziehung ist die Zucht, welche den Sinn hat, den Eigenwillen des Kindes zu brechen [...] Das Vernünftige muß als seine eigenste Subjektivität in ihm erscheinen [...] Die Sittlichkeit muß als Empfindung in das Kind gepflanzt worden sein...” (Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 174, 175) Hegel befindet sich übrigens in trauter und 100-%iger Übereinstimmung mit dem Pseudo-Anarchisten Bakunin, der folgendes schreibt: “Kinder müssen sich bis zum Alter ihres Freiwerdens (...) unter dem Regime der Autorität befinden. Dies soll zwar mit fortschreitendem Alter milder werden, aber nur deshalb, damit die herangewachsenen Jünglinge, wenn sie vom Gesetz freigemacht sind, vergessen haben mögen, wie sie in ihrer Kindheit durch etwas anderes als die Freiheit geleitet und beherrscht wurden.” (“Prinzipien und Organisation der internationalen revolutionären Gesellschaft” (1866), in: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin, Der Syndikalist 1924, S. 25) Die angebliche Überwindung des Normativismus ist eine besonders üble, weil verwirrende Mogelpackung, weil das Fremde, was bei Kant noch klar im Außen und das Fremde war, jetzt als das Eigene „erscheint“. Das tatsächlich Eigene aber soll vernichtet, der wirkliche Wille des Kindes soll gebrochen werden. Das Kind – und auch die Erwachsenen – sollen nicht mehr selbst fühlen, was gut und schlecht ist, sondern die Sittlichkeit soll ihnen „eingepflanzt“ werden. Jetzt weiß das Kind nicht mehr, wer es eigentlich ist und was es eigentlich will. So schön und anerkennenswert der Ansatz und die Absicht der Hegelianer ist – nämlich daß der Normativismus verschwinden möge –, so geht doch der Schuß voll nach hinten los, ja es muß festgestellt werden, daß ein Fortschritt sich wieder einmal mehr als äußerst verheerend herausstellt. Deshalb: Rückschritt! Vorwärts nimmer, rückwärts immer! Was zu einer Verbesserung der Lage führen sollte (im Sinne einer Vereinfachung, einer Entfernung des Komplizierten, des Stresses, der Schizophrenie und der Verzweiflung), das führt direkt zu einer Verschlimmerung. Ein klassischer Fall von Verschlimmbesserung. Hegel will die Verzweiflung nur „aufheben“, mittels intellektueller Kunststückchen verschwinden lassen. Den Widerspruch will er aber nicht wirklich auflösen, die Leute sollen nicht von ihm tatsächlich erlöst werden. Tatsächlich greift er das Fremde nicht an, sondern glaubt dessen schädliche und streßverursachende Wirkung aufheben zu können, indem er es zum „Eigenen“ macht. Das Eigene besteht aber zu übergroßem Teil aus Körperlichem und Gefühlsmäßigem. Diese können von keinen Gedanken, keinen intellektuellen Kunststückchen übertölpelt werden. Das Eigene muß eben vor allem gerade als das Körperliche und das Gefühlsmäßige anerkannt werden; diese sind es, die das Eigene vor allem ausmachen. Was meinem Körper und meinen Gefühlen widerstrebt, das ist das Fremde; und das hat in mir nichts zu suchen, das muß draußen bleiben. Ich möchte keine „Gedanken“, die mir einreden, es sei mein Eigenes. Es soll aber an dieser Stelle nicht wieder und nicht zum 1000sten Male der Hegelianismus kritisiert werden. Vergessen wir nicht: Es geht an dieser Stelle darum, daß Hegelianer wie alle anderen auch frei ihre Meinung äußern und sie auch anderen zur Übernahme vorschlagen dürfen. Niemand, erst recht kein OMF-Staatsanwalt, hat einen Hegelianer aufgrund dessen hegelianischer Anschauungen auf die Anklagebank zu bringen. Es hat keine Zwangsdiskussionen um philosophische Dinge zu geben! Keine Normativismen! Kein Zwangsglaube: Weder an die Kammern, noch an Gott! Ich habe die Verhandlung nur bis zur Pause verfolgen können, laut einem anderen Beobachter ist aber bis zum Ende der Verhandlung nichts Besonderes mehr geschehen. (1) siehe www.deutsches-kolleg.org => Viertes Reich => Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches (2) Die Eingeweihten wissen: ein weiteres Ermittlungsverfahren...
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