Der Rückwärts
Von Peter Töpfer Die Verhandlung begann um 9.20 Uhr im Saal Nr. 220, der kleiner ist. Das Publikum bestand aus ca. 25 Personen. Es waren fünf Wachtmeister anwesend. Der Verteidiger von Uwe Meenen, RA Nahrath, wurde von RA Wünsche vertreten. Bevor sich Horst Mahler weiter einließ, gab er einige „Hinweise“ zur Hegelschen Philosophie, die der Gipfel der deutschen Philosophie sei, im allgemeinen und dem „Hegelschen Entwicklungsgedanken“ im besonderen. In der Entwicklung der Menschheit habe der Judaismus nach Hegel eine „zentrale Bedeutung“. Dieser sei ein „entscheidender Entwicklungsschritt“ gewesen; mit dem Judaismus sei der Mensch „mehr als Tier“ geworden. Der Mensch habe „alle Sinnvorstellungen abgewiesen, um ganz Geist zu werden“, drohe aber – wenn er auf der Stufe des Judaismus stehen bliebe – „wieder zurückzufallen in dumpfe Tierischkeit“. Im folgenden fuhr Horst Mahler mit der Verlesung des Textes „Endlösung der Judenfrage – Gotteserkenntnis statt Judenhaß“[1], den er am letzten Verhandlungstag zu verlesen begonnen hatte, fort. Das „jüdische Prinzip“ sei die Trennung von Mensch und Gott. Freiheit sei das Wesen des Geistes. Horst Mahler würdigte die „jüdische Zersetzung“; der „Block“ habe aufgelöst, die Gesellschaft habe in Atome zerfallen müssen. Um 9.40 Uhr unterbricht Staatsanwalt Krüger; ihm war im Publikum jemand aufgefallen, der eine Zeitung las und also den Ausführungen Horst Mahlers nicht zuhöre. Er beantragte ein Ordnungsgeld wegen ungebührlichen Verhaltens. Richter Faust verwarnte den Zeitungsleser. Hier solle zugehört werden; wer das nicht tue, den würde er des Saales verweisen. Horst Mahler fuhr fort, daß jetzt – nach Hegel – der Judenhaß überwunden sei und der Fluch von den Juden genommen werde. Horst Mahler zeigt sich immer wieder wegen einer Despotie sehr besorgt und stellt ihr die Freiheitlichkeit entgegen. Horst Mahler sagte, Geld zersetze die Sittlichkeit und daß der Mensch als Ware nicht frei sein könne. Dann kam er zum Ende seines Vortrages. Nun verlas er – „zur Auflockerung“ für den Staatsanwalt – mehrer Zitate Winston Churchills[2]. Danach ging Horst Mahler an die Verlesung des Textes „Ist Gott grausam?“[3], wurde sogleich aber von Staatsanwalt Krüger unterbrochen, der beantragte, daß der Text ihm und dem Gericht zur Verfügung gestellt werden solle. Richter Faust ordnete eine 10-minütige Pause an, in der der Text kopiert wurde. Staatsanwalt Krüger forderte eine längere Pause, damit er den Text auf strafrechtlich Relevantes hin prüfen könne. Horst Mahler protestierte und belehrte den Staatsanwalt, daß er, wenn er dies für richtig erachte, nach der Verlesung des Textes zur Strafverfolgung übergehen könne, daß er ihm aber nicht das Wort abschneiden kann. Richter Faust ordnete eine Viertel Stunde Pause an; „dann kann Herr Krüger den Text ja schon mal querlesen“. 10.15 Uhr wurden die Kopien an die Verfahrensbeteiligten ausgeteilt, und nun verlas Horst Mahler den Text „Ist Gott grausam?“[4] Anschließend verlas er den „Brief an Bruder Martin“, „wahrscheinlich ein junger Jude“. Auch dieser Text wird den Verfahrensbeteiligten in Kopien ausgehändigt. Alle neun professionell am Verfahren Beteiligten verfolgen aufmerksam den Text. An den Seitenenden blättern sie synchron um. Nur Staatsanwalt Krüger hebt regelmäßig und oft den Kopf, um sicherzustellen, daß auch im Publikum alle ordentlich zuhören. Ein weiteres Mal rügt er das „ungebührliche“ Verhalten von jemandem aus dem Publikum, der nicht aufmerksam den Worten Horst Mahlers folgt. Um 10.30 Uhr unterbricht Richter Faust die Verhandlung, und Horst Mahler nimmt 11.15 Uhr die Verlesung des „Briefes an Bruder Martin“ wieder auf. Die Wirtschaftskreisläufe seien, so Horst Mahler, durch den Wucher zerstört. An der Stelle „… werden die Juden als Volk und Gemeinschaft nicht mehr sein…“ ergänzt er den abgelesenen Text durch den Einwurf „als Menschen sehr wohl!“ Die Juden seien, so Horst Mahler, die Entdecker des Geistes. Um 12.00 Uhr kommt Horst Mahler an das Ende seines „Briefes an Bruder Martin“. Richter Faust verkündet bis 13.00 Uhr Mittagspause. Um 13.00 Uhr möchte Horst Mahler mit der Verlesung eines Beweisantrages beginnen. Richter Faust sagt, das sei nun „formal interessant“ und fragt Horst Mahler, ob er also seine Einlassungen beendet habe. Staatsanwalt Krüger möchte wieder zur besseren Verfolgung Kopien des Beweisantrages. Richter Faust fragt, worauf sich der Beweisantrag beziehe. Horst Mahler antwortet: „Auf den Judenkomplex.“ Um 13.05 gibt Richter Faust zu Protokoll: „Der Angeklagte führt mit seiner Einlassung fort, indem er einen Beweisantrag stellt.“ Nun entsteht für eine halbe Minute völlige Ruhe im Gerichtssaal, nichts passiert. Richter Faust unterbricht das Schweigen und fragt Horst Mahler, ob es ein Problem gäbe. Horst Mahler, dem entgangen war, daß ihm das Wort erteilt worden war, schreckt auf: „Nein!“ Richter Faust fragt ihn: „Haben Sie mir nicht zugehört? Das ist unschön. Ich sagte, daß Sie Ihren Beweisantrag stellen…“ – beide lächeln sich an. Horst Mahler beginnt nun mit der Verlesung des Beweisantrages, der leider nicht elektronisch im Netz abgelegt ist. In ihm kommt der Befehl Jahwes an die Juden „Du sollst leihen, aber niemals borgen“ vor. Um 13.45 Uhr ist Pause. Der Berichterstatter hat die Verhandlung nicht weiter bis ans Ende verfolgt. Herr Dr. Gernot Schäffner, der das Geschehen bis zum Ende verfolgt hat, trägt dankenswerterweise zur Berichterstattung bei (siehe weiter unten). Er beantwortet auch einige juristische Fragen zum Prozeß. Die nächsten Verhandlungen finden an folgenden Tagen statt:
Anmerkungen
Nächste Veröffentlichung des Komitees „Freiheit für MOM!“:
Dr. Gernot Schäffner: Bericht über den 15. Verhandlungstag im MOM-Prozeß am 19.5.04 Heute, am 15. Verhandlungstag, war es für viele (selbst für den Richter) nicht ganz einfach, zu verstehen, wo wir nun eigentlich stehen bzw. wie Mahlers zahlreiche Schriftsätze, die er ja seit dem letzten Verhandlungstag mit ausdrücklicher Genehmigung des Richters verliest, prozessual einzuordnen sind. Ein kleiner Dialog zwischen dem Richter und dem Angeklagten brachte dann aber doch Klarheit: Bis jetzt hat er sich immer nur zur Sache eingelassen. Das ist seine Äußerung dazu, ob er die ihm vorgeworfene Tat zugibt. Diese Einlassung kann nur aus einem Satz bestehen („Jawohl, Herr Richter, ich habe den Polizisten Stumpf angepinkelt, weil mir sein primitives Gesicht nicht gefallen hat“). Sie kann aber auch Tage dauern, z.B. wenn der Angeklagte im Knast Hegel gelesen hat. Nach der Einlassung zur Sache kommt die Beweisaufnahme, d.h. der Teil des Prozesses, wo das Gericht durch Auswertung von Beweismitteln, z.B. durch Vernehmung von Zeugen, die Wahrheit erforscht. Der Angeklagte kann jederzeit Beweisanträge stellen, d.h. bestimmte Beweismittel nennen (z.B. Zeugen- oder Sachverständigenaussagen), die eine bestimmte Tatsache beweisen sollen. Mahler tat dies heute erstmalig. Er verlangte u.a., daß ein Sachverständiger für Völkerkunde befragt wird über bestimmte Merkmale der „Judenheit“. Was offenkundig ist (Berlin liegt an der Spree) bedarf keines Beweises. Manches ist offenkundig, aber nicht jedem geläufig, z.B. was in der Bibel steht. Deshalb stellte Mahler innerhalb seines Beweisantrages den weiteren Antrag, bestimmte Passagen der Bibel als deren offensichtlichen Inhalt dem Prozeß zugrunde zu legen. Er las deshalb aus diesem merkwürdigen Schriftstück vor – sehr zur Verwunderung des Publikums, das wohl nicht wußte, welch grausliges Zeug sich die langbärtigen Autoren dieses Sprachungetüms unter Galiläas sengender Sonne ausgedacht hatten. In dem gleichen Zusammenhang zitierte er auch viele Rabbis, deren Gewaltphantasien aber nicht ausreichten, um das Publikum am Einschlafen zu hindern. Um 15 Uhr war Schluß und die wieder erwachten deutschen Recken gingen frohen Mutes und ohne Angst, „ausgemordet“ zu werden, zum Kaffeetrinken in das gegenüberliegende kroatische Restaurant, welches ausgesucht worden war, da Kroatien im Zweiten Weltkrieg mit Deutschland verbündet war. Ob auch das gute und preiswerte Essen die Besucher davon abhält, einstweilen von einer Ausweisung der Inhaber abzusehen, kann dahinstehen. Hierbei handelt es sich um eine Gewissensfrage. Mein Gespräch mit Horst Mahler war sehr interessant, angenehm und beruhigend. Ich bekam vom intelligentesten Rechtsradikalen die Zusage, er werde mir „nicht die Ohren abreißen“, obgleich ich nach wie vor an die massenhafte Vergasung von Juden glaube. Da konnte ich neuen Mut schöpfen und die Frage aufwerfen, wie es im Vierten Reich mit meiner physischen Existenz weitergehen werde. Immerhin hatte Herr Oberlercher im Internet „Vogelfreiheit für Gottesleugner“ gefordert. Da ich Hegel nicht verstehe, hänge ich – verwerflicher Materialist, der ich bin – irgendwie immer noch an meinem Arsch und allem drüber und drunter, von den Füßen bis zum limbischen System. Jedoch beruhigte mich Herr Mahler, sympathisch grinsend: „Das ist Literatur...“ Ich sagte darauf : "Herrn Oberlercher lassen wir wohl besser erst einmal außen vor..." Darauf Herr Rechtsanwalt Ulmer: "Aber Herr Schäffner, wie reden Sie denn von meinem Mandanten..." Alles in allem ein sehr gelungener Nachmittag. Nur am Rande sei erwähnt, daß auch Mahler, wie viele, von Nietzsche fasziniert ist, jedoch „beim Umgang mit ihm zur Vorsicht rät“ – sehr vernünftig. |